Nein sagen können: Warum es schwerfällt und wie du es lernst

9.09.2024 | Radiobeiträge

Jemand bittet dich um einen Gefallen – zum Beispiel, den Hund über das Wochenende zu nehmen oder das Protokoll für die Dienstbesprechung zu schreiben. Eigentlich willst du „Nein“ sagen, weil du weder Zeit noch Lust hast und dich von der Anfrage überfordert fühlst.
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Jemand bittet dich um einen Gefallen – zum Beispiel, den Hund über das Wochenende zu nehmen oder das Protokoll für die Dienstbesprechung zu schreiben. Eigentlich willst du „Nein“ sagen, weil du weder Zeit noch Lust hast und dich von der Anfrage überfordert fühlst. Doch bevor du es merkst, hast du schon „Ja“ gesagt: „Kein Problem.“ „Mache ich.“ Und jetzt? Jetzt musst du die Suppe auslöffeln, obwohl du es gar nicht willst. Kennst du das? Keine Sorge, du bist nicht allein.

Viele Frauen kennen diese Situation nur zu gut. Warum fällt es so schwer, Nein zu sagen? Wir möchten helfen, freundlich sein, uns sozial verhalten. Oft haben wir Angst vor negativen Konsequenzen: „Was denkt der andere, wenn ich ablehne?“ Oder wir fürchten, als egoistisch wahrgenommen zu werden, wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen.

Aber warum eigentlich „Ja“ sagen, wenn es gegen das eigene Gefühl geht?

Das Dilemma zwischen den Bedürfnissen anderer und den eigenen

Im Kern steckt hinter diesem Zwiespalt das Dilemma zwischen den Bedürfnissen des Gegenübers und unseren eigenen Bedürfnissen. Auf der einen Seite wollen wir unserem Mitmenschen einen Gefallen tun, möchten helfen, unterstützen, und vermeiden es, jemanden zu enttäuschen. Auf der anderen Seite wissen wir, dass wir unsere Zeit anders nutzen möchten – sei es zur Erholung, für eine persönliche Leidenschaft oder für Aufgaben, die uns mehr Erfüllung bringen.

Es fühlt sich oft an, als müssten wir zwischen „Liebe deinen Nächsten…“ und „Liebe dich selbst…“ entscheiden. Doch warum sollte es egoistisch sein, sich selbst den Vorrang zu geben, wenn das bedeutet, authentisch zu bleiben und klar in den eigenen Grenzen? Das Dilemma liegt darin, dass wir uns selbst nicht enttäuschen wollen, aber auch die Erwartungen anderer nicht.

Eine persönliche Geschichte: Wie ich gelernt habe, „Nein“ zu sagen

Lass mich dir eine kleine Geschichte erzählen: Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich von einer Freundin gebeten wurde, ihr kurzfristig bei einem großen Projekt zu helfen. Ich wusste, dass ich eigentlich keine Zeit hatte, weil ich selbst mitten in einer stressigen Woche steckte, aber anstatt ehrlich zu sein, sagte ich „Ja“. Was folgte, war eine Woche voller Stress, wenig Schlaf und das ständige Gefühl, auf beiden Seiten zu versagen. Was habe ich daraus gelernt? Dass ein „Nein“ in diesem Fall viel hilfreicher gewesen wäre – nicht nur für mich, sondern auch für meine Freundin. Sie hätte rechtzeitig eine andere Lösung finden können, während ich meine eigene Gesundheit nicht aufs Spiel gesetzt hätte. Seitdem übe ich mich darin, klare, freundliche „Neins“ zu formulieren, wenn ich merke, dass meine Grenzen erreicht sind.

Warum das „Ja“ oft mehr Schaden anrichtet als ein „Nein“

Viele von uns sagen aus Angst vor negativen Reaktionen „Ja“ – obwohl wir das eigentlich nicht wollen. Und was passiert? Wir ärgern uns über uns selbst, fühlen uns überfordert, vielleicht sogar ausgenutzt, während der andere gar nicht ahnt, wie es wirklich in uns aussieht. Diese heimliche Frustration kann die Beziehung belasten, und das Risiko besteht, dass wir nachtragend werden – sowohl uns selbst gegenüber als auch dem anderen.

Hier ist ein Gedanke, der hilft: Ein ehrliches „Nein“ ist ein Ja zu dir selbst. Es ist kein Nein, das gegen den anderen gerichtet ist, sondern eines, das auf deine Bedürfnisse achtet. Es schafft Klarheit und Ehrlichkeit in der Beziehung, denn der andere weiß, woran er ist, und kann dich als zuverlässige Person wahrnehmen. Denn was bringt es, wenn du dich selbst übergehst, nur um eine Erwartung zu erfüllen, die dir innerlich widerstrebt?

Vielleicht kennst du das Wort: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein.“ Klingt simpel, oder? Doch dahinter steckt ein Appell an Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit – sowohl gegenüber anderen als auch gegenüber uns selbst. Wenn wir „Ja“ sagen, sollte es ein bewusstes, ehrliches „Ja“ sein. Eines, das wir auch leisten können und wollen. Wenn es dagegen ein „Eigentlich nicht“ ist, dann sollte es ein klares „Nein“ werden.

Ein „Nein“ kann befreiend wirken, wenn es aus der inneren Überzeugung kommt, dass du deine Grenzen kennst und respektierst. Der andere mag enttäuscht sein – und das ist okay. Schließlich hast du dich nicht gegen ihn entschieden, sondern für dich selbst. Diese Selbstfürsorge ist essenziell, um langfristig authentisch und in der Beziehung klar zu bleiben.

Praxistipps: So sagst du „Nein“ – ohne schlechtes Gewissen

1. Habe deine Prioritäten im Blick
Bevor du spontan „Ja“ sagst, nimm dir einen Moment Zeit, um zu prüfen, wie die Anfrage mit deinen aktuellen Verpflichtungen und Bedürfnissen zusammenpasst. Du musst nicht sofort antworten. Sag ruhig: „Ich muss kurz darüber nachdenken“ oder „Lass mich sehen, ob ich es zeitlich schaffe.“ Das gibt dir die Chance, ehrlich zu dir selbst zu sein.

2. Formuliere dein „Nein“ klar und freundlich
Ein „Nein“ muss nicht hart oder verletzend klingen. Du kannst höflich und gleichzeitig bestimmt sein, zum Beispiel: „Danke, dass du an mich gedacht hast, aber ich schaffe es zeitlich leider nicht.“ Oder: „Ich würde gerne helfen, aber ich habe zu viele andere Verpflichtungen.“

3. Biete Alternativen an (wenn sinnvoll)
Wenn es dir wichtig ist, trotzdem zu helfen, kannst du Alternativen vorschlagen: „Ich kann den Hund leider nicht nehmen, aber vielleicht kann ich dir helfen, jemanden zu finden.“ Oder: „Ich kann das Protokoll nicht schreiben, aber vielleicht könnte ich dich bei der Vorbereitung unterstützen.“

4. Verstehe, dass ein „Nein“ die Beziehung nicht schädigt
Oft glauben wir, dass ein „Nein“ das Bild, das der andere von uns hat, negativ beeinflusst. Aber in Wahrheit schätzen Menschen Ehrlichkeit und Klarheit. Deine Beziehungen werden nicht darunter leiden – im Gegenteil, sie können sogar an Vertrauen gewinnen.

Fazit: Nein sagen – ein Ja zu dir selbst

Beim nächsten Mal, wenn du dich in der Situation wiederfindest, in der ein „Ja“ dir schwerfällt, erinnere dich daran: Ein „Nein“ bedeutet nicht, dass du den anderen weniger schätzt. Es bedeutet nur, dass du ehrlich bist – zu dir und zu ihm. Es bedeutet, dass du deine Ressourcen respektierst und dich nicht verbiegst. Indem du ein klares „Nein“ aussprichst, sagst du: „Ich habe abgewogen, was für mich richtig ist, und ich entscheide mich dafür.“

Also, sei mutig. Sag Nein, wenn es nötig ist – denn das ist auch ein Schritt, um drauflos zu leben..

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Felicitas Richter

Rednerin, Autorin & Mentorin – Für Frauen, die mehr wollen: Präsent in Familie – Erfolgreich im Job

Vorträge, Seminare, Coaching für gelingende Vereinbarkeit

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Als Dipl. Sozialpädagogin war mir schon im Studium klar: wer Kinder gut ins Leben hinein begleiten will, braucht selbst Stärkung. Ich wurde Schulseelsorgerin, Elternkursleiterin, Elterncoach und Eltern-Medien-Beraterin.

Es geht weniger darum, wo man ist, sondern eher, wo man hinwill!