Wenn ich mit leuchtenden Augen über das Thema „Resonanz in Unternehmen“ spreche, gerate ich schnell in den Speaker-Modus. Dann bin ich schwer zu stoppen. Doch vor wenigen Tagen bremste mich eine frühere Kollegin komplett aus, als sie zwischenfragte: „Was ist eigentlich das Gegenteil von Resonanz? Dissonanz?“ Ich schwieg prompt.
Eine spannende Frage, die tief in das Herz der Resonanztheorie führt. Auf den ersten Blick scheint es plausibel: Das Gegenteil von Resonanz müsste doch Dissonanz sein. Schließlich liegt es in der Musik nahe: Harmonie versus Missklang.
Doch dann erinnere ich mich an ein Seminar zum Thema „Kommunikation“, das viele Jahre zurückliegt. Acht Kolleg:innen, die schon lange zusammenarbeiten. Wie immer gibt es gleich zu Beginn eine kleine Challenge zur Zusammenarbeit im Team.
Ich stelle je eine gefaltete Moderationskarte in die Mitte der beiden Teams. Die Aufgabe: Herausfinden, wie die Falttechnik funktioniert und selbst eine Karte nachfalten – ohne die Vorlage zu berühren. Das Team, in dem alle eine fertige Karte mit Namen haben, gewinnt.
Was dann geschieht, ist faszinierend – und ernüchternd zugleich. Zwei Teilnehmende machen sich mit einer gewissen Neugier an die Aufgabe. Drei andere falten lustlos vor sich hin. Die restlichen drei stehen einfach herum und schauen zu. Keine Kommunikation. Nichts.
Irgendwann hat eine Teilnehmerin die Lösung, hält die Karte vor sich – aber erklärt es ihrem Team nicht. Und keiner fragte sie. Keiner. Erst nach einem entscheidenden Hinweis meinerseits finden beide Teams zur Lösung.
Was ich in diesem Team spürte, war nicht Dissonanz. Dissonanz hätte bedeutet: Spannung, Reibung, vielleicht Streit. Aber hier war: nichts. Keine spürbare Verbindung, kein lebhaftes Mitdenken, kein offensichtliches Interesse, sich irgendwie einzubringen. Kurzum: Null Resonanz im Raum.
Später wurde mir klar: Die Teamleiterin hatte das Seminar nicht wegen der Kommunikation mit Kund:innen gebucht. Es war eine Gruppe von Menschen, die für sich vielleicht funktionierten. Aber nicht als Team. Ein enormer Schaden für das Unternehmen.
Warum Dissonanz nicht das Gegenteil von Resonanz ist
Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt Resonanz nicht als reine Harmonie oder Wohlklang. Vielmehr ist Resonanz für ihn eine dynamische Beziehung zur Welt, in der drei Dinge geschehen:
- Etwas spricht mich an (Anruf),
- ich antworte (Antwortbarkeit),
- es verändert mich (Transformation).
Und genau dieser Prozess kann durchaus spannungsreich, herausfordernd und sogar schmerzhaft sein. Resonanz ist nicht immer angenehm. Sie bedeutet nicht, dass alles „im Einklang“ ist — sondern dass etwas in Schwingung kommt.
Auch Dissonanzen, Konflikte oder Herausforderungen können Teil resonanter Erfahrungen sein, wenn sie eine Antwort und eine Beziehung ermöglichen. Ein schwieriges Mitarbeitergespräch kann tief resonant sein — wenn es ehrlich, berührbar, verbunden geführt wird. Auch wenn es wehtut. Auch wenn man sich reibt.
Dissonanz ist also nicht das Gegenteil — sondern eine mögliche Ausdrucksform innerhalb resonanter Beziehung.
Das Gegenteil von Resonanz: Entfremdung
Entfremdung – das klingt abstrakt. Aber uns allen begegnet dieser Zustand im (nicht nur) beruflichen Umfeld täglich – bei Einzelnen ebenso wie in Teams.
Hartmut Rosa beschreibt ihn als „stummes Weltverhältnis“: Die Welt spricht mich nicht mehr an. Ich kann nicht antworten. Es geschieht nichts, was mich innerlich berührt oder verändert.
In unserer Arbeitswelt ist Entfremdung weit verbreitet — auch wenn sie selten so genannt wird. Sie zeigt sich in Meetings, in denen alle „dabei“ sind, aber niemand innerlich anwesend. In Menschen, die perfekt funktionieren, aber nichts mehr bewegt. Oft sind es gerade die „pflegeleichten“ Mitarbeiter, die bereits entfremdet sind. Sie sagen immer „Ja“, stellen keine Fragen, machen keine Schwierigkeiten. Aber sie brennen auch für nichts mehr.
Im Einzelcoaching höre ich dann Sätze wie: „Ich mache meinen Job, aber er bewegt mich nicht mehr.“ Oder: „Ich erledige meine Aufgaben – aber es fühlt sich an, als wäre ich gar nicht wirklich da.“
Das ist kein Mangel an Leistungsfähigkeit – sondern ein Mangel an Beziehung.
Und in Teams zeigt sich genau dasselbe Phänomen:
Man ist im selben Raum, arbeitet am selben Projekt – aber dazwischen bleibt es still. Es gibt kaum Austausch, keine echte Neugier füreinander, kein lebendiges Miteinander.
Ideen werden durchgewunken, Meetings durchgezogen, Aufgaben abgearbeitet – effizient, aber der soziale Schmierstoff fehlt
Entfremdung bedeutet: Wir funktionieren – aber wir begegnen einander nicht mehr.
Die Verbindung reißt nicht spektakulär ab – sie verdunstet langsam.
Und genau das macht sie so tückisch: Sie ist still. Lautlos. Und wirkt von innen heraus. Während Dissonanz Reibung erzeugt – und damit Entwicklung – lähmt Entfremdung jedes Wachstum. Entfremdung ist die Gegenspielerin von Resonanz, weil sie alle drei Bedingungen resonanter Weltbeziehung kappt. Keine Anrufung. Keine Antwort. Keine Transformation.
Was aber tun, wenn ein Team sich innerlich verabschiedet hat, obwohl alle äußerlich noch funktionieren?
Zurück zur Eingangs-Geschichte. Als ich das Team beobachtete war mir klar, dass es nicht um Kommunikation mit Kunden ging. Die Geschäftsführerin hatte das Seminar „verordnet“, um miteinander wieder ins Gespräch zu kommen.
Was tun, wenn ein Team schweigt, sich alle heraushalten, alle ihre Arbeit erledigen. Wie kann wieder ein sozialer Raum gestaltet werden, in dem wieder etwas zum Schwingen kommt, Lebendigkeit möglich ist?
Drei Schritte zurück in die Beziehung
Mit diesem Team habe ich in den zwei Seminartagen auf drei Schritte gesetzt, um kurzfristig wieder mehr Resonanz ins Spiel zu bringen:
1. Beobachtbares sichtbar machen — ohne Bewertung
Ich habe als externe Beobachterin laut ausgesprochen, was ich sah: „Mir fällt auf, dass viele von euch abwarten. Auf sicheren Abstand gehen. Selbst wenn die Lösung da ist, bekommt sie keine Aufmerksamkeit. Ich habe kaum Austausch gesehen.“
👉 Das öffnet Raum. Denn solange niemand benennt, was ist, bleibt alles im Nebel.
Für die Teamleiterin war das ungewohnt – und gleichzeitig befreiend. Sie spürte: Das Schweigen ist nicht neutral. Es ist ein Zeichen für Entfremdung. Und die beginnt dort, wo Menschen sich selbst und einander nichts mehr sagen.
2. Sprachfähigkeit herstellen – mit Übungen aus der Gewaltfreien Kommunikation
Die meisten Teams schweigen nicht, weil sie nichts zu sagen hätten. Sondern weil sie nicht wissen, wie.
Da gibt es negative Vorerfahrungen, dass Fehler nicht zu Lernen, sondern zu Herabsetzung führte. Dass Wertschätzung und Respekt abhanden gekommen ist. Es braucht wieder Vertrauen durch psychologische Sicherheit, um seine Meinung zu äußern, Ideen auszusprechen, Kritik zu formulieren. Der Mystiker Rumi sagt: „Jenseits von Richtig und Falsch, dort gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns.“ Ich nenne diesen Ort „Resonanzraum“.
Wir haben uns in den kommenden zwei Tagen auf die Suche nach diesem Begegnungsraum. Zunächst haben wir mit einfachen GFK-Elementen gearbeitet und diese wieder und wieder geübt – anhand von relevanten Beispielen. Themen dabei waren:
- Unterscheiden zwischen Beobachtung und Bewertung
- Bedürfnisse benennen, Gefühle formulieren
- Verbindende und trennende Kommunikation (Giraffensprache und Wolfssprache)
- Empathisch zuhören
3. Kleine Resonanzrituale etablieren
Ich habe der Teamleiterin empfohlen, im Alltag gezielt Mini-Räume für Verbindung der Mitarbeitenden zu schaffen:
👉 Ein kurzer Check-in im Teammeeting: „Was hat dich in der vergangenen Woche zum Lächeln gebracht?“ Frage nicht nach Problemen – sondern nach Energie. Statt: „Was läuft schlecht?“ lieber: „Wobei hattest du zuletzt richtig Freude bei der Arbeit?“ Wirkung: Du lenkst die Aufmerksamkeit auf das, was lebendig macht. Und Resonanz beginnt oft genau dort, wo Menschen sich wieder selbst spüren.
👉 Selbst-Check-in zum Feierabend: Auch für die Teamleiterin ist es wesentlich, wieder eine Verbindung zur eigenen Sinnhaftigkeit, Selbstwirksamkeit und zu den Menschen im Team zu schaffen. „„Wofür bin heute dankbar? Wen, was habe ich besonders bewusst wahrgenommen? Wo habe ich gespürt, dass das, was ich tue, einen Unterschied macht?“ Resonanz beginnt mit Selbstwahrnehmung.
👉 Sich jede Woche einen Moment Zeit für ein kurzes Gespräch mit jedem Mitarbeiter / jeder Mitarbeiterin nehmen für eine ehrliche Rückfrage: „Wie geht’s dir gerade — wirklich?“ – und kurz innehalten für die Antwort. Es kann Wochen dauern, bis das Gegenüber vertraut: „Die/der meint es wirklich ehrlich und will wirklich wissen, wie es mir geht.“ Vertrauen zurückgewinnen braucht Zeit.
👉 Antworte auf eine E-Mail nicht sofort mit Fakten – sondern mit Beziehung: „Danke für deine schnelle Rückmeldung — ich merke, wie sorgfältig du dich da reingedacht hast.“ Beziehungsorientierte Kommunikation stärkt das Miteinander – auch schriftlich.
Es geht nicht um große Interventionen. Es geht um das Sehen und Gesehen werden – mitten im Arbeitsalltag.
Fazit: Resonanz ≠ Harmonie
Resonanz ist keine Wohlfühlblase. Resonanz ist nicht immer bequem. Aber sie ist immer lebendig. Dissonanz ist erlaubt – sogar wichtig. Entfremdung hingegen macht auf Dauer krank.
Wenn wir Räume schaffen, in denen Menschen sich berühren lassen dürfen, wo Antwort möglich ist und Verbindung zählt – dann entsteht Resonanz. In den kommenden Wochen werde ich darüber schreiben, wie es uns gelingen kann, in Organisationen und Unternehmen mentale, zeitliche und physische Resonanz-Räume zu schaffen, die Verbindung ermöglichen – immer in dem Wissen, dass Resonanz nicht „machbar“ ist. Aber diese sozialen Räume können die Wahrscheinlichkeit für Resonanzerfahrung erhöhen.
Und dann geschieht etwas, das keine Checkliste der Welt ersetzen kann: Energie. Sinn. Beziehung.
Mein Impuls für dich:
Nimm heute einmal wahr, wie du Resonanz als Verbindungsangebot in deinen Alltag holen kannst:
Resonanz entsteht,
- indem du dich berühren lässt — auch von schwierigen Impulsen.
- indem du antwortest — aus deinem eigenem Erleben heraus. Das braucht manchmal Mut..
- wenn du innerlich wach bleibst — selbst in Routinen.
Wo könntest du heute einen kleinen Schritt gehen — zurück in Beziehung zu dir selbst, zu anderen, zu deiner Arbeit?