„Und… freust du dich auf Zuhause? Auf Deutschland?“ Gedanken einer Welt-Gereisten

„Und… freust du dich auf Zuhause? Auf Deutschland?“ Gedanken einer Welt-Gereisten

Morgen geht es nach Hause. Dies ist kein Rückblick, sondern einfach das, was mir angesichts der Nachrichten aus Deutschland gerade durch den Kopf geht:

Im Frühsommer 2023 war es für mich an der Zeit, mal rauszukommen. Zeit, auf Reisen zu gehen, mich ein wenig in der Welt umzuschauen. Einfach so. Es hätte tausend Gründe gegeben, das nicht zu tun – meine Selbstständigkeit, meine vier Kinder, meine Partnerschaft, ehrenamtliche Verpflichtungen – meine fragile Gesundheit. Aber wann, wenn nicht jetzt? Freu‘ dich nicht zu spät. Einfach mal drauflos leben.

In 7 Monaten habe ich nun 12 Länder besucht. Ich habe in Zelten, im Auto, in Hostels oder unter freiem Himmel geschlafen, manchmal auch in einer wunderschönen Pension. Ich habe mit Berbern, Kambodschanerinnen, Balinesinnen und Omanis stundenlang über Götter und die Welt gesprochen. Eine Frau der Schwarzen Hmong in Vietnam, ein indonesischer Hindu-Priester, eine australische Webdesignerin, ein arabischer Kameltreiber, eine taiwanesische Tauchlehrerin, und eine junge nepalesische Lastenträgerin haben mir ihre Geschichten erzählt.

Jedes Gespräch begann mit zwei Fragen: „Woher kommst du?“ Und: „Wohin gehst du?“ Meine erste Antwort: „Ich komme aus Deutschland.“

Und dann passierte etwas, was ich nie erwartet hätte: Ein Leuchten erschien in den Augen meines Gegenübers. Freude darüber, einer Deutschen zu begegnen. Dann folgten einige Worte auf Deutsch: „Guten Abend!“ oder „Bayern München“ oder Namen wie „Muller“. Ein Kellner begrüßte mich freudig auf Deutsch: „Ich liebe dich!“ In den ersten Wochen meiner Reise war ich irritiert. Hatte ich doch erwartet, eher auf Distanz zu stoßen – das Elend, das Deutschland in der Vergangenheit über die Welt gebracht hat. Die unterschwelligen Vorbehalte der Deutschen untereinander, wenn man sich mal auf Reisen trifft. Das ständige Herummäkeln an allem, was in Deutschland nicht so toll läuft. Das hatte mein Selbstbild als Deutsche doch ganz schön ausgegraut. Nix mit Leuchten.

Dann erklärte mir ein junger Mann in einem Café in Kambodscha, die Deutschen seien seine liebsten Gäste: „Sie sind immer freundlich und vor allem dankbar für alles. Man kann sich gut mit ihnen unterhalten. Sie sind offen und großzügig.“ Echt jetzt? Wir?

Mein Reisepass ist einer der wertvollsten der Welt. Er öffnete mir problemlos die Türen in jedes Land. Bei der Wiedereinreise an der Grenze zwischen Kambodscha und Vietnam hieß es: „Sie haben kein gültiges Visum? Dann können Sie nicht passieren. Ach, Sie sind aus Deutschland? Dann können Sie 15 Tage visafrei ins Land!“

Viermal musste ich medizinisch behandelt werden. „Sie kommen aus Deutschland?“ Kein Problem.

Uns Deutschen steht die Welt offen. Wir können (fast) überall hin. Wir können es uns leisten, über den Tellerrand zu schauen und mal das Land zu verlassen. Dürfen uns freie Tage für Urlaub gönnen. Wir sind medizinisch abgesichert – egal, wo wir auf der Welt sind.

Und genau all das hat uns zu einem weltoffenen Land gemacht – dass wir über den Tellerrand schauen dürfen. Dass wir ein interessantes Land sind, in das Menschen aus der ganzen Welt gern kommen und ihre Kultur, ihre Religion, ihre Erfahrungen mitbringen. Diese Offenheit hat unsere Kultur – unsere Literatur, unsere Architektur und Kunst geprägt. Denn Reisen bildet und macht tolerant – nicht nur die, die reisen, sondern auch diejenigen, die besucht werden. Das Leuchten in den Augen der Anderen hat mir gezeigt: „Du bringst ein Stück Deutschland zu uns!“ Und das ist ein Grund zur Freude. Und eine Menge Verantwortung für mich. Denn die Welt schaut auf unser Land. Nimmt es sich zum Vorbild.

Morgen ist es an der Zeit, nach Hause zurückzukehren. Ich bin 7 Monate komplett abgetaucht. Habe kaum Nachrichten aus Europa gehört und war ganz im „Hier und Jetzt“ – in den Ländern, die ich bereiste. Habe mich mit deren Geschichte, Politik und aktueller Wirtschaftslage beschäftigt. Und viel gelernt.

Nun also zurück nach Deutschland. Will ich das? Ist Deutschland tatsächlich das Land, als was es die Welt sieht? Oder ist es ein Land im Rechtsruck? Ein Land, das sich der Welt wieder verschließen will? Menschen, die für sich bleiben wollen. Im eigenen Saft schmoren und ihr eigenes Süppchen kochen? Alle hinauswerfen, die uns ihre Welt ins Haus gebracht haben? Menschen, die dafür gesorgt haben, dass wir Türen und Herzen wieder öffnen nach all der Dunkelheit im letzten Jahrhundert?

Ein Teil von mir möchte weiterreisen und noch ein wenig in der Sonne stehen, die auf uns im Ausland (noch) fällt. Doch dann lese ich von all den Menschen auf den Straßen, den Demonstrationen und Aktionen für ein weltoffenes, tolerantes Land. Ein Land, das nicht die Augen vor den Problemen in Europa und der Welt verschließt. Ein Land voller Menschen, die die Dinge anpacken. Weil wir die Mittel dazu haben. Weil wir das Wissen dazu haben. Weil wir die Vielfalt der Menschen dazu haben, deren Wissen und Erfahrung wir nutzen können.

Noch habe ich auf die zweite Frage meines Gegenübers nicht geantwortet: „Wohin gehst du?“ Ich gehe nach Hause. In das Land, das einst die Einladung ausgesprochen hat: „Die Welt zu Gast bei Freunden.“ Wir sind ein gastfreundliches Land. Ein reiches Land. Ein privilegiertes Land. Ein mächtiges Land.

Wir sollten ein Land sein, das dafür sorgt, dass ALLE Menschen auf der Welt ein Zuhause haben. Denn Zuhause ist dort, wo man gut leben kann, wo Frieden und Sicherheit herrschen, wo Familie und Freunde sind und man willkommen ist.

Ich darf nach Hause kommen. Und bin unendlich dankbar, dass es einen Ort gibt, den ich so nennen darf. Und genau das wünsche ich jedem Menschen auf dieser Welt.

Wie du herausfindest, was du eigentlich willst

Wie du herausfindest, was du eigentlich willst


 

Tag 12, Bali

Manchmal sind wir in unserem momentanen Leben unzufrieden. Das ist gut so, denn es zeigt: Wir haben die Sehnsucht, einen Sinn in dem zu finden, was wir tun. Wir ahnen: Da muss doch noch mehr sein als das, was mich momentan beschäftigt? Aber wie finde ich heraus, was ich eigentlich will und wie finde ich Wege, das in mein Leben zu holen?

In diesem Blogartikel erfährst du, warum ich mich gerade für das Reisen entschieden habe und wie du herausfinden kannst, was es für dich ist.

Woher weiß ich, was ich will?

Entscheidende Situationen im Leben erinnere ich so deutlich und mit allen Sinnen, als wäre ich noch mittendrin. So weiß ich noch heute, wie der Bungalow in Kroatien aussah und die Couch, auf der ich saß, ich erinnere mich an den Duft des frischen Kaffees und dass die Morgensonne im Oktober noch mild war, als ich beschloss, auf Weltreise zu gehen. Eigentlich beschloss ich es gar nicht – denn das klingt wie eine vernünftige und rationale Entscheidung. Und die war es ganz und gar nicht.

Es war eher ein Gefühl von Klarheit, dass plötzlich alle Puzzleteile meines momentanen Lebens zusammenpassten und ein stimmiges Bild ergaben. Ich sah plötzlich sehr deutlich, was ich machen will, wann und wie lange. Und vor allem – warum ich es will. Im ersten Moment blieb mir vor der eigenen Courage, so eine verrückte und unmögliche Idee überhaupt zu denken, glatt die Luft weg. Aber dann war da ein Kribbeln, eine Aufregung, als wäre es schon soweit. Dieses klare Bild hatte ich ab jetzt vor Augen. Und plötzlich war es ganz leicht, einen großen Traum in die Realität umzusetzen. Ein Traum, der schon so lange in mir war, wie ich denken kann. In diesem Blogartikel kannst du das nachlesen: „1000 Gründe, keine Weltreise zu machen und warum ich es trotzdem tue.“

Nachdem eine liebe Freundin diesen Artikel gelesen hatte, schrieb sie mir:

„Ich bin von dem, was du in deinem Blog schreibst und in deiner Story teilst, berührt und angesteckt. Nicht, dass ich neidisch bin und auch auf Reisen gehen will. Das wäre nicht meins. Aber dass du weißt, was du willst…das ist es, was ich mir für mich wünsche. Und dann den Mut haben anzufangen.“

Immer wieder höre ich im Coaching oder im privaten Austausch solche Gedanken und ich habe lange darüber nachgedacht, wie es gelingen kann herauszufinden, was man will. Denn was jetzt bei mir wie eine plötzliche Eingebung klingt, fiel nicht vom Himmel. Zu wissen, was ich wirklich will, war ein langer Prozess des Ringens und Sehnens. Aber das reicht nicht. Man kann sein ganzes Leben damit verbringen zu hoffen, dass die Dinge sich bessern und Wünsche in Erfüllung gehen. Meine Initialzündung, einen Traum nun auch umzusetzen und die dafür notwendigen Ressourcen zu mobilisieren, war sicher eine schon länger andauernde (und in meiner Lebensphase nicht ungewöhnliche) Unzufriedenheit in Zusammenhang mit einer latenten Sehnsucht und letztendlich die (schmerzhafte) Erfahrung, dass niemand von uns Zeit hat, die wirklich wichtigen Dinge aufzuschieben.

In diesem Blogartikel nun geht es darum, wie du herausfinden kannst, was du eigentlich willst. Was dein großer Traum ist, den du leben möchtest. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Was es ist, das das Zeug dazu hat, dich vor Lebensfreude ganz kribbelig zu machen, dich zu erfüllen und dir eine tiefe Zufriedenheit zu schenken.

Lass dich bei deiner Suche leiten von deiner Sehnsucht, die du gerade spürst. Die Sehnsucht, dass da noch etwas anderes sein muss, als du gerade in deinem Alltag findest. Die Sehnsucht nach etwas so Wichtigem, dass es dich unzufrieden macht, nicht zu wissen, was es ist und wie du es in dein Leben holen kannst.

Warum es gut ist,
auch mal unzufrieden zu sein

Die Frage: „Was will ich eigentlich?“ stellt sich in ganz unterschiedlichen Lebensphasen – manchmal sehr laut und manchmal eher leise als Echo einer vermissten Lebensfreude.

Vielleicht bist du noch recht jung und hast gerade erst die volle Verantwortung für dein eigenes Leben übernommen. Viele Wege stehen dir offen. Zu viele. Berufswahl, Partnerschaft, Familiengründung, Wohnort, Jobangebote – da sind so viele Möglichkeiten, Erwartungen… Der Entscheidungsdruck macht dir zu schaffen. Wenn du dich auf eine Option festlegst, musst du andere ablehnen. Wieso kriegen alle anderen alles hin – nur du bist überfordert und unzufrieden. Denkst du. Und weißt, dass es nicht stimmt.

Vielleicht bist du aber auch gerade sehr eingebunden – deine tägliche To-Do-Liste ist bestimmt von deinen Aufgaben in Beruf, Familie, Ehrenamt. Die Spalte „Ich“ fehlt auf deiner Liste, von „Partnerschaft“ ganz zu schweigen. Hin und wieder spürst du, dass du zu kurz kommst, wenn du innerlich müde und erschöpft bist. Das macht dich möglicherweise ebenfalls unzufrieden.

Vielleicht aber hast du schon einige Lebensaufgaben gemeistert (das ist der Moment, dir mal auf die Schulter zu klopfen) – bist im Beruf angekommen (aber bis zur Rente ist schon noch ein Weilchen), hast dich wohnlich eingerichtet (ok, das Schlafzimmer könnte einen neuen Anstrich vertragen und die Couch ist auch schon hundert Jahre alt), die Kinder sind aus dem Haus (nun ja, aber natürlich nicht aus dem Herzen – es gibt vieles, um das man sich noch Gedanken macht). Eigentlich könntest du ganz zufrieden sein. Doch da schwirrt diese leise Frage durch Kopf und Herz und lässt dir keine Ruhe, weil du keine richtige Antwort hast: „Was will ich? Was fange ich jetzt an? Ich bin zu jung, um alt zu sein (wann ist man das eigentlich?), fühle mich aber auch zu alt, um noch unrealistischen Tagträumen nachzujagen. Eine leise Unzufriedenheit umwölkt deine Lebensfreude.

Vielleicht drängt sich die Frage „Was willst ich eigentlich?“ aber auch ganz laut in dein Leben. Es geht nicht mehr. Das Leben beutelt dich. Du kannst nicht mehr so weitermachen. Du willst nicht mehr so weitermachen. Aber was willst du dann? Und selbst, wenn du es weißt, wie holst du das, was du willst, in dein Leben?

Wenn du spürst, dass du unzufrieden bist, dann hat das etwas sehr Gutes.

Denn damit stellst du den Status Quo in Frage. Du fängst an zu hinterfragen, ob das Leben, das du gerade lebst, wirklich deins ist oder eher eine Aneinanderreihung von Verpflichtungen, Verantwortlichkeiten, Aufgaben, Erwartungen.

Unzufriedenheit heißt, dir ist der innere Frieden abhanden gekommen. Die Dinge sind nicht mehr so, wie sie sein sollen. Das zu erkennen, ist der Ansporn für Veränderung. Es ist die Sehnsucht nach einem Leben, das dir heute mehr entspricht. Einem Leben, das dich glücklich macht.

Also, nimm dich selbst einen Moment in den Arm. Bedanke dich bei deiner Unzufriedenheit und schau, was es braucht, um wieder Frieden zu finden.

Dafür stehen dir nun zwei Wege offen:

Der eine Weg: Du richtest deine Aufmerksamkeit nach Außen. Hoffst, dass die Umstände sich ändern. Wartest, dass es irgendwann besser wird. Dass sich die Dinge von selbst regeln. Kämpfst, dass sich die Menschen in deinem Umfeld anders verhalten. Damit es dir gut geht.

Oder du gehst nach Innen. Schaust, was du dir so sehr wünscht und welche Bedürfnisse dahinterstehen. Entdeckst, wie du diese erfüllen kannst und wessen Unterstützung du dafür brauchst. Wenn du den zweiten Weg gehen möchtest, gebe ich dir gern ein paar Impulse.

Bedürfnisse und Gefühle:
Schlüssel zu einem erfüllten Leben

In meinen Seminaren und im Coaching spreche ich immer wieder über die Bedeutung unserer Bedürfnisse als die Grundlage unseres Handelns. Weil es so wichtig ist, lass mich deshalb hier noch einmal darauf eingehen.

Grundsätzlich kann man sagen: Bedürfnisse sind das, dessen wir bedürfen, damit es uns gut geht.

Dazu gehören grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung oder Schlaf, aber auch Sicherheitsbedürfnisse wie finanzielle bzw. materielle Absicherung oder Schutz. Außerdem sind wir Menschen sehr soziale Wesen und haben Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Partnerschaft. Aber genauso wichtig ist, uns als Individuum zu erleben. Dafür brauchen wir Wertschätzung, Anerkennung, Freiheit.

Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, dann ist alles prima. Wir fühlen uns richtig gut – bestens gelaunt, energiegeladen, zuversichtlich, glücklich, fröhlich. Das sieht man uns auch an: wir strahlen andere Menschen an (das wirkt wie eine Einladung zur Kontaktaufnahme), die Körperhaltung ist aufgerichtet und weit. Menschen sagen uns: „Du siehst richtig gut aus“ – und meinen nicht, dass wir gerade von der Kosmetikbehandlung kommen. Unsere Bedürfnisse sind erFÜLLT – wir handeln aus der Fülle heraus und könnten die Welt umarmen.

Andererseits merken wir selbst und andere aber genauso, wenn ein oder mehrere Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Wir fühlen uns traurig, energielos, erschöpft, gelangweilt, frustriert. Wir sind in einem Mangel. Und unsere ganze Körperhaltung drückt aus: „Lasst mich alle einfach nur in Ruhe.“ Und dieser Mangel ist so offensichtlich, dass Menschen uns fragen: „Was fehlt dir denn“?

Bedürfnisse drücken aus, was wir brauchen. Gefühle zeigen uns an, ob unsere Bedürfnisse erfüllt sind oder ob uns etwas fehlt.

Sie sind wie der Füllstandsmesser im Tank, der deutlich anzeigt, wann wir (auf)tanken sollten. Jeder Mensch möchte, dass es ihm gut geht. Denn das ist für sie/ für ihn besser, aber auch für den Rest der Welt. Deshalb kommt man ins Handeln. Um sich Bedürfnisse zu erfüllen.

Schauen wir nun noch einmal auf das Gefühl der Unzufriedenheit. Es ist nicht schlimm oder schlecht. Höchstens unangenehm. Aber definitiv hilfreich. Denn es weist uns auf ein unerfülltes Bedürfnis hin.

Aber welches Bedürfnis ist es, wenn wir uns fragen: „Was will ich eigentlich?“

Die große Frage nach dem Sinn

Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow hatte aufgrund seiner Forschung die brillante Idee, die unterschiedlichen Bedürfnisse als Pyramide darzustellen:

Er sagte, dass es zunächst die Erfüllung der fundamentaleren Bedürfnisse braucht, bevor man überhaupt in der Lage ist, sich um die darüberliegenden zu kümmern. Und das ist sofort einleuchtend. Wenn die junge Mutter mehrfach in der Nacht aufsteht, um sich um das schreiende Baby zu kümmern, hat sie einfach nur noch das Bedürfnis zu schlafen. Gutgelaunt eine Party zu schmeißen oder sich stundenlang über die Tagespolitik auszutauschen, ist dann nicht ihre erste Priorität.

Zwei Dinge sind mir sehr wichtig, wenn ich die Pyramide für meine Ausführungen nutze:

Erstens wirkt eine Pyramide wie ein fest gefügtes Gebilde. Aber die Stufen sind nicht starr zu verstehen. „Soziale Bedürfnisse“ und „Individualbedürfnisse“ bedingen einander. Nur, wenn ich mich in meinem Umfeld eingebunden und aufgehoben fühle, kann ich gut mit mir allein sein, ohne mich einsam zu fühlen. Andererseits muss ich wissen, wer ich bin und was ich will (und was nicht), damit der Austausch mit anderen funktioniert. Diese beiden Stufen sind meiner Meinung nach in der Rangfolge jederzeit austauschbar.

Zweitens siehst du in der ersten Pyramide oben die Spitze leer. Bei Maslow steht dort „Selbstverwirklichung“ als höchstes Bedürfnis. Andere haben es durch ein „Transzendenz“ ersetzt. Ich benutze das Wort „Sinn“, weil es in meinen Augen beides vereint. Es geht um den Sinn, den mein Leben (und darüber hinaus – denke nur an all die Menschen, die die Weltgeschichte weit über ihr Leben hinaus geprägt haben) hat. Aber auch das tägliche Tun braucht einen Sinn, ansonsten haben wir das Gefühl, dass unser Engagement Sinn-los ist.  Einen Sinn in dem zu haben, was mich antreibt, durchstrahlt alle anderen Bedürfnisse. Wer einen Sinn hat, findet Frieden und wird zu-frieden. Und dieser Frieden umfasst Gemütsruhe, Selbstakzeptanz und letztendlich Seelenfrieden. Wer ihn (und sei es für einen Moment) findet, empfindet Klarheit und Leichtigkeit.

Was wir also mit der Frage: „Wie finde ich heraus, was ich will?“ eigentlich meinen, ist eine Antwort auf die Frage:

„Wie kann ich mir das Bedürfnis nach Sinn in meinem Leben (im Moment) erfüllen?“

Als ich in Kroatien 2021 (s. Blogartikel oben) plötzlich wusste, dass ich eine längere Zeit auf Reisen gehen möchte, war es genau das: Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn für mein (momentanes) Leben. Das Reisen ist nur das WIE, das TUN. Und das ist für meine Freundin nicht der richtige Weg. Sie braucht etwas anderes. Aber mit dem Reisen erfülle ich mir Bedürfnisse. Und genau das ist es, was sie für sich auch so sehr wünscht. Deshalb: Fange nicht damit an, darüber nachzudenken, ob du eine Weltreise machen, deine Partnerschaft überdenken oder dich selbstständig machen sollst. Fange damit an, nach deinen Bedürfnissen zu fragen. Und ich verspreche dir:

Wenn du auf das, was für dich Sinn macht, gestoßen bist, macht es Klick – und zwar nicht nur im Kopf, sondern im Herzen. Plötzlich ist alles ganz leicht. Ganz klar. Ganz einfach.

Du kannst es auch Erleuchtung nennen 😉. Denn dir geht ein Licht auf.

Wenn ich also auf den Entschluss schaue, auf Reisen zu gehen, stecken eigentlich folgende Bedürfnisse dahinter:

Klarheit: Ich möchte Abstand vom Alltag gewinnen, um mir wieder Klarheit zu verschaffen, was privat und beruflich gut läuft und was der Korrektur bedarf – und mich von dem zu lösen, was mir nicht guttut

Freiheit: Ich möchte mein Leben nicht mehr nur managen, sondern einfach mal drauflos leben und schauen, was passiert.

Selbstvertrauen: Ich möchte zu Möglichkeiten und Herausforderungen „Ja“ sagen und sie meistern, um daran zu wachsen

Inspiration: Ich möchte in andere Kulturen eintauchen, den Blick für meine eigenen Werte schärfen und erkennen, wie man auch anders mit den Herausforderungen des Alltags umgehen kann

Sinn: Ich möchte gerade Frauen in jeder Lebensphase ermutigen, das ICH nicht aus den Augen zu verlieren und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, damit sie ein erfülltes Leben mit Familie, Beruf und allem, was ihnen wichtig ist, führen können.

Ich zeige dir gleich eine Übung, wie DU deinen Bedürfnissen näherkommen kannst, um Sinn-erfüllt zu leben. Und noch einmal: Das geht nicht mit einem Fingerschnipsen, sondern ist ein Prozess, der reifen darf. Gut ist, dass du die Sehnsucht in dir spürst, damit er in Gang kommt.

Eine Anmerkung noch vorab: Eigene Bedürfnisse zu erfüllen, ist nie ein Egotrip. Egoismus ist in meinen Augen, sich an den Ressourcen wie Kraft, Aufmerksamkeit oder Zeit der anderen Menschen ungefragt zu bedienen. Dagegen: Verantwortung für die Erfüllung der eigenen Bedürfnissen zu übernehmen, ist gut für alle Beteiligten. Aber dazu im nächsten Blogartikel mehr. Hier nur soviel:

Um das zu leben, was dein Bedürfnis nach Sinn erfüllt, braucht es die Befriedigung der Bedürfnisse in den unteren Hierarchieebenen.

Für mich hieß das:

Grundbedürfnisse: Ich kann nur auf eine mehrmonatige Reise gehen, wenn ich gesund genug bin und meine Therapien das ermöglichen.

Sicherheitsbedürfnisse: Ich muss abklären, wie ich unterwegs versichert bin, ausrechnen, wieviel Mindest-Budget ich brauche und die notwendigen finanziellen Mittel ansparen, die es mir ermöglichen, eine solche Reise zu machen.

Soziale Bedürfnisse: Ich muss mit den Menschen, die mir am wichtigsten sind, besprechen, was das für sie heißt und wie wir unsere Bedürfnisse irgendwie gut zusammenbringen.

Individualbedürfnisse: Genau diese habe ich oben bereits beschrieben. Sie zu erfüllen, geben mir die Kraft, Wege zu finden, mein Vorhaben umzusetzen.

Selbstcoaching: 

Das Auszeit-Jahr

1. Nimm dir ein Blatt Papier und einen Stapel Post-it’s. Dann male eine lange Linie auf das Papier und trage 12 Monate ein. Du kannst mit dem kommenden Monat starten oder auch mit dem Januar. Das ist völlig egal. Es geht nur darum, dass du die Spanne eines Jahres vor Augen hast.

2. Nun stell dir vor, du bekommst ein Jahr Auszeit von deinem gegenwärtigen Alltag geschenkt. Geld und Zeit spielen keine Rolle. Alle deine Verpflichtungen werden von jemand anderem übernommen. Du hast die Sicherheit, dass du nach einem Jahr deinen Job wieder bekommst (wenn du ihn dann noch möchtest). Wichtig ist, dass du in diesem Jahr NICHT einfach nur am Strand liegst (das darfst du auch mal), sondern dass du in diesem Jahr etwas ausprobierst, etwas lernst, dich weiterentwickelst. Es geht im Moment auch nicht darum, ob deine Ideen umsetzbar und realistisch sind. Du darfst ganz groß und verrückt denken.

Und nun die große Frage: Was würdest du tun? Nimm für jede Idee ein Post-it. Du bist nicht limitiert. Auch wenn du denkst, nun fällt dir nichts mehr ein – frage dich: Was noch? Und was noch? Lass dir Zeit.

3. Wenn du fertig bist, dann verteile die Ideen auf die Monate. Wie lange bräuchtest du für jede Idee? Gibt es etwas, was besonders wichtig ist? Was du als Erstes machen möchtest? Sind manche Dinge ähnlich? Erkennst du vielleicht ein Muster? Möchtest du die Ideen allein umsetzen oder gibt es jemand, den/die du gern dabei hättest?

4. Und nun schau genauer hin: Du hast einen großen Wunschzettel vor dir liegen. Grundsätzlich sind unsere Wünsche unsere Ideen von Strategien, WIE wir uns unsere Bedürfnisse erfüllen können. Und nun ist spannend, mit detektivischem Gespür zu schauen, welche Bedürfnisse deinen Ideen zugrunde liegen.

Nehmen wir ein verrücktes Beispiel: Angenommen, auf einem Post‘it steht, du würdest dich gern einen Monat lang auf eine Reise zum Mond begeben. Auch wenn die Idee vielleicht unrealistisch ist, gibt sie dir wertvolle Hinweise für das, was du möchtest.

Soll heißen: vielleicht suchst du größtmöglichen Abstand zu deinem Alltag und möchtest, dass deine Herausforderung ganz klein werden (Bedürfnis nach Leichtigkeit, Klarheit, Entlastung). Oder du stellst dir das Alleinsein in absoluter Stille verführerisch vor (Bedürfnis nach Ruhe, Frei-Zeit). Oder in dir steckt eine Forscherin und du wolltest schon immer mal wissen, wie es auf dem Mond ist (Anregung, Bildung).

5. Und nun bist du dran. Was sind die tieferliegenden Bedürfnisse hinter deinen Auszeit-Ideen? Lass nicht locker. Sprich mit einer Person deines Vertrauens darüber, um Worte für das zu finden, was da vielleicht noch etwas nebulös und wenig greifbar in dir ist.

6. Du ahnst es vielleicht schon: Im nächsten Schritt schaust du, was du tun kannst, um die entscheidenden Bedürfnisse zu erfüllen. Das könnte ein Monat in der Wüste sein. Du könntest aber auch eine Mutter-Kur beantragen (dass es Kuren nur für Väter ohne Kinder gibt, wüsste ich leider nicht) oder für zwei Wochen irgendwo hin fahren, wo du nicht erreichbar bist und einfach Abstand gewinnen kannst (es muss nicht der Mond sein, die Nordseeinsel Juist im Januar genügt, das weiß ich aus eigener Erfahrung, dort gibt es auch Mütterkuren) – und deiner Familie zutrauen, dass sie den Alltag ohne dich schafft. Du könntest eine Woche zum Schweigen in ein Kloster fahren und dich von der Stille und dem regelten Tagesablauf stärken lassen. Oder du schreibst dich an der Uni als Gasthörerin ein (es gibt auch viele Online-Angebote), um mehr über Themen zu erfahren, die dich interessieren.

Damit hast du sicher noch nicht den Sinn für dein ganzes Leben gefunden. Aber du bist auf einem guten Weg dorthin. Denn du bist auf dem Weg zu dir selbst. Und das ist gut so. Denn nur so kannst du das Leben leben, das für dich das bestmögliche ist.

Ich freue mich, dass du heute dabei warst und an meiner Reise teilhast!
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Alles Liebe,

deine Felicitas

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Wie du herausfindest, was du eigentlich willst

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Manchmal sind wir in unserem momentanen Leben unzufrieden. Das ist gut so, denn es zeigt: Wir haben die Sehnsucht, einen Sinn in dem zu finden, was wir tun. Wir ahnen: Da muss doch noch mehr sein als das, was mich momentan beschäftigt? Aber wie finde ich heraus, was ich eigentlich will und wie finde ich Wege, das in mein Leben zu holen? In diesem Blogartikel erfährst du, warum ich mich gerade für das Reisen entschieden habe und wie du herausfinden kannst, was es für dich ist.

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Wenn ein Taifun durchs Leben fegt und alle Pläne über den Haufen wirft

Wenn ein Taifun durchs Leben fegt und alle Pläne über den Haufen wirft

Da plant man und plant man und dann grätscht das Leben dazwischen.
Was tun, wenn alle Pläne mit einem Mal über den Haufen geworfen werden und man schnell einen neuen Plan entwickeln muss?

Ich erzähle hier von meinen Erlebnissen mit einer Taifun-Warnung in den einsamen Bergen Taiwans.

Wo Liebespaare ihren Honeymoon erleben

Ich habe gelesen, dass Taiwan eines der sichersten Länder der Welt ist. Kriminalität kennt man quasi nicht. Das sieht man schon am Verhalten bei der Reviermarkierung. Während wir Deutschen unsere Liege mit einem Badehandtuch reservieren, legen Taiwanesen ihr Handy oder ihre Autoschlüssel bei Starbuck’s auf den schönsten Tisch am Fenster, bevor sie am Tresen ihre Bestellung aufgeben.

Das ideale Land also für eine alleinreisende Frau.

Überhaupt das perfekte Urlaubsland – es gibt sowohl Hochgebirge (über 3000m benötigt man eine Genehmigung) und Mittelgebirge mit vielen Wanderwegen, Sandstrände am türkisfarbenen Meer, raue Küsten mit atemberaubenden Steilklippen, heiße Quellen und quirlige Städte, die super organisiert und sauber sind. Und das alles auf einer Gesamtfläche, die etwa der von Thüringen und Sachsen zusammen entspricht. Allerdings, so lese ich auch, sind die besonders schönen Gebiete im Osten der Insel und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln eher schwer erreichbar.

Also entscheide ich mich, einen kleinen CamperVan zu mieten. So komme ich überall hin und spare mir die doch sehr teuren Übernachtungskosten. Außerdem lässt mich die Idee, überall zu schlafen, wo es schön ist, mein Campingherz höher schlagen. Ich habe zwar noch nie allein, selten wild und erste wenige Male im Auto übernachtet, aber diese Herausforderung werde ich meistern. Komfortzone und so.

So gut die Idee erstmal klingt – die Preise für CamperVans in Taiwan sind doch weit über meinem Budget, aber ich entdecke in einem Blogartikel einen Anbieter, der einen kleinen Mitsubishi Colt mit Matratze und Campingausrüstung anbietet. Für die Abholung fahre ich mit dem HighSpeed-Zug (300 km/h, Beinfreiheit ist hier ehrlich gemeint, super pünktlich – hier sollten einige DB-Verantwortliche gern mal Praktikum machen) in 47 Minuten 162 km nach Taichung. Die Übergabe hat etwas Konspiratives – der Besitzer möchte nur Cash auf die Hand und die Kaution auf ein PayPal-Konto. Mir ist mulmig, aber ich denke ja an die vielgepriesene Sicherheit Taiwans.

Als ich das Auto übernehme, ist mir schnell klar – ich will zurück in meine Komfortzone! Noch in der Tiefgarage packe ich uraltes Bettzeug, ein Ungetüm an Plastik-Ventilator, Omas alte Stoff-Kühltaschen und auch sonst alles aus, was ich nicht nutzen werde. Gott sei Dank habe ich meinen eigenen Schlafsack und mein Kopfkissen dabei. Da ich eh in den Waschsalon muss, nehme ich den Matratzenaufleger und das Bettlaken gleich mit. Anschließend noch in die Autowäsche (drei Männer, die gleichzeitig auf mein Autochen einpolieren), dann bin ich wieder dort, wo ich mich  wohl fühle. Innerhalb der Komfortzone. Und los geht’s!

Erste Station: Sonne-Mond-See. Dort, wo die Liebespaare ihre Flitterwochen verbringen, verbringe ich meine erste Nacht auf einem dunklen Wanderparkplatz direkt am See. Ich höre die Geräusche der Natur und fühle mich geborgen im Camping-Feeling. Bis zu dem Moment, als mir einfällt, was ich außerdem über Taiwan gelesen habe: Als Teil des „Pazifischen Feuerrings“ liegt die Insel in einer der seismisch aktivsten Zonen der Erde. Heftige Erdbeben sorgen immer wieder für Erdrutsche und die Zerstörung von Straßen und Häusern. Außerdem ziehen jedes Jahr drei bis vier Taifune über Taiwan hinweg. 

Plötzlich bin ich hellwach. Fühle mich nicht mehr sicher in diesem Land. Parke das Auto noch einmal um, damit es nicht direkt unter einem Baum steht. Halte die Nase aus dem Fenster, ob ein Taifun-Lüftchen weht (tut es nicht). Nehme jede Bewegung des Autos wahr (Ein nahendes Erdbeben? Nein, ich habe beim Einnicken gezuckt.) Die Nacht wird kurz.

Da in den nächsten Tagen mit Regen zu rechnen ist, mache ich todmüde die eigentlich für morgen geplante Radtour (30 km) um den See. Okay, es wird eine Radwanderung – bergauf (laufen) und bergab (fahren) – bei 29  Grad, aber zum Glück bewölkt. Aber es ist wirklich schön, da ich fast allein unterwegs bin und selbst die Serpentinen auf dem Asphalt machbar sind, wenn keine Autos kommen. Während mir meine Tochter am Telefon einen Anflug von Heimweh vertreibt, sitze ich im Dunkeln – umwölkt von Räucherstäbchen – im großen Wen Wu Tempel mit seinen drei Hallen und unzähligen Treppenstufen, der tagsüber von Touristenhorden gestürmt wird. Die Drachen und Fratzen grinsen mich an, Konfuzius aber lächelt milde und tröstet mich. Ich mag ihn. Tempel in Taiwan sind rund um die Uhr geöffnet und ein gastfreundlicher Ort, wenn die Seele Ruhe braucht.

In dieser Nacht schlafe ich neun Stunden durch. Welchen Unterschied das macht! Ich fühle mich fit und zuversichtlich und lege einen Schreib-Tag ein (bei Starbucks – mein neuer Co-Working-Space, denn die Toiletten sind super sauber, das WLAN gut und überall an den Tischen Steckdosen zum Laden von Tablet und Handy).

Außerdem habe ich Zeit, die nächsten Tage zu planen. Eigentlich muss ich das gar nicht, ich folge einfach der Route in meinem Reiseführer von Lonely Planet. Nächste Station: Tatajia und Alishan National Forest Recreation Area. Ich sehe mich und meinen kleinen Mitsubishi an einem sicheren Aussichtspunkt stehen – und mit atemberaubenden Blick über die Berge bei Sonnenaufgang den Tag begrüßen. Nach einem selbst gekochten Kaffee (ich habe auch Topf und Tasse neu gekauft) fühle ich schon die Freude auf das Wandern in den Knochen. Ich habe das Auto voll getankt, gesunde Sachen für die nächsten Tage eingekauft und die Standorte der Touristen-Informations-Zentren gecheckt, in denen es Trinkwasserspender und saubere Toiletten gibt. So mein Plan. Es war ein guter Plan.

Weltuntergangsstimmung

Ich habe mich bereits in der Hauptstadt Taipei daran gewöhnt, die einzige Nicht-Asiatin zu sein. Da die Taiwaner*innen mich aber erst anschauen, wenn ich sie anspreche, fällt das nicht weiter auf. Auf der berühmten Radroute um den Sonne-Mond-See und nachts im Tempel bin ich mutterseelenallein. Ok. Vielleicht ist Tempel nachts wie Friedhof.

Aber als sich mein kleiner Mitsubishi in 2,5 Stunden die Serpentinen von 760 m auf 2600 m hinaufschraubt und mir außer einem einzigen Moped kein Fahrzeug entgegenkommt, fange ich doch an, mich zu wundern. Immer wieder sehe ich Tore, um die Straße zu sperren, aber sie sind alle geöffnet und ich fahre weiter. Halte immer wieder an, um die Aussicht zu bewundern. Dabei nehme ich wahr, dass ganze Tunnelpassagen und Straßen aufgrund von Erdrutschen in der Vergangenheit den Berghang hinabgestürzt und neu gebaut worden sind. Ich checke das Handy. Kein Empfang. Irgendwann kommt mir ein leerer Kleinbus entgegen. Zumindest muss es eine passierbare Straße geben. Irgendwann kommen die Wolken. Manchmal sehe ich nur 10m weit. Gut, dass außer mir niemand unterwegs ist. Oder ist das nicht gut? Irgendwann müsste ich doch durch die Wolken durch sein. Ich sehe schon den fantastischen Blick auf die vom Sonnenlicht umfluteten Bergspitzen. Wie tief hängen Wolken eigentlich? Ich komme nicht durch.

Stattdessen komme ich an das Besucher-Informationszentrum des ersten Nationalparks. Dort klopfen Bauarbeiter im Nebel auf dem Boden herum. Menschen! Ich bin erleichtert. Hier habe ich auch Empfang. Mehrere Nachrichten trudeln ein. Unter anderem eine vom Besitzer des Autos: „Get to a safe place by tomorrow afternoon. Big drama coming.“ Und er schickt einen Link mit einer offiziellen Warnmeldungen vor Taifun Haikui – dem ersten Taifun seit vier Jahren, der direkt auf das Land und die ganze Insel treffen soll. Flüge werden gecancelt, Menschen evakuiert, das Militär in Bereitschaft versetzt. Ich glaube, ich gucke nicht richtig.

www.google.de/maps

Genau das denkt sich wohl auch der einzige Mitarbeiter des Zentrums, als ich aus dem Nebel auftauche. Zumindest schaut er mich so an. Er spricht kein Englisch. Aber ich habe ja jetzt Empfang und so erfreuen wir uns gemeinsam an den Fähigkeiten des GoogleÜbersetzers. Ich frage ihn, warum keine Menschen hier oben seien: „Because of the thyphoon“ antwortet sein Handy. Ich frage ihn, wo ein sicherer Ort für mich sei. Er zuckt – alle Sprachbarrieren überwindend – die Schultern. Und er holt seine einzige Kollegin. Auch sie spricht kein Englisch. Wo ich den schlafen wolle, fragt mich Google. „Eigentlich schlafe ich im Auto“, antwortet mein Handy in astreinem traditionellen Chinesisch. Wieder dieser Die-Ausländer-sind-schon-komische-Menschen-Blick. Er empfiehlt mir eine „Lodge“, das wäre besser als das Auto. Nun guckt die Kollegin irritiert. Später recherchiere ich, dass es sich um eine Selbstversorgerhütte in den Bergen handelt. Sie diskutieren und sind sich im Schulterzucken einig. Ich setze einen Hilferuf an meine Familie ab, so lange ich Empfang habe, und bitte um Recherche.

Ausnahmezustand

Von einer Minute zur anderen ist mein Plan, dem ich bis hierher gefolgt bin, nicht mehr zu gebrauchen. Ich brauche einen neuen Plan. Den hätte ich auch sehr schnell, wenn ich mich auf bekanntem Terrain befände. Klappt Plan A nicht, nimmt man halt B oder C. Das Alphabet hat ja noch einige Buchstaben. Wir alle sind Meisterinnen im Improvisieren. Du weißt schon: Hinfallen, Aufstehen, Krone richten und weiter marschieren.

Das ist ja schön und gut, aber in welche Richtung marschieren?

Ich bin ja in solchen Situationen ja eigentlich eher ruhig, aber heute, hier und jetzt spüre ich, wie ich nervös werde. Mir fehlen Informationen. Ich kann nichts entscheiden, weil ich nicht weiß, was die Kriterien sind. Mir schießen auf einmal zig Fragen durch den Kopf.

Geht ein Taifun auch über das Gebirge? Sollte ich mir hier oben gleich eine Unterkunft suchen (gibt es welche?) Was passiert, wenn Erdrutsche die Straßen unpassierbar machen? Wann genau geht es los (käme ich in den nächsten 2,5 Stunden noch sicher durch die Berge)? Hat mein Vermieter einfach Angst um sein Auto und dramatisiert die Situation? Oder ist es wirklich „big drama“?

Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes keinen Durchblick. Die Wolkenwand ist undurchdringlich und ich finde mein Auto auf dem Parkplatz erst, als ich direkt davor stehe. Ich spüre Angst aufsteigen. Angst vor einer Bedrohung, die ich nicht kenne. Die größte Naturkatastrophe für mich als Brandenburgerin war bisher nach heftigen Regenfällen ein Keller unter Wasser. Warum sagt mir niemand, was ich tun soll?

Ok.

Schritt 1: Sich beruhigen

Ich weiß, die Angst aktiviert mein Stammhirn und verengt meinen Fokus auf Angriff oder Flucht. Beides macht Sinn, wenn ich meine Waffen und den Weg kenne.

Ich setze mich erstmal hin. Das Visitor Center hat noch 1,5 Stunden offen. So lange bin ich erstmal sicher. Tief durchatmen.

Schritt 2: Informationen sammeln und Handlungsoptionen entdecken

Ich durchsuche das Netz und es finden sich tatsächlich viele Informationen. Zuerst aktuelle Infos zu „Haikui“. Der Taifun kommt von Osten. Er soll sich aber drehen und auch den Süden und Südwesten treffen. Ok, also ist es egal, in welche Richtung ich fahre. Der Taifun wird überall sein.

Der Taifun soll morgen Nachmittag eintreffen. Mir bleiben also heute 2,5 h Zeit bis zur Dunkelheit, die Berge zu verlassen. Morgen früh ist keine Option, falls sie den Nationalpark schließen.

Schritt 3:  Der eigenen Intuition vertrauen

Ich stehe unter Zeitdruck und habe nicht die Muße, alles zu durchdenken. Ich kann jetzt nicht mit klarem Verstand alle Vor- und Nachteile abwägen und eine Pro- und Kontra-Liste erstellen. Aber das ist auch gar nicht schlimm. Denn jetzt ist die große Stunde meiner Intuition. Ich horche in mich hinein und weiß plötzlich „aus dem Bauch heraus“, dass ich nicht auf dem Berg bleiben will. Es gibt nur wenige Straßen und wenn die gesperrt oder gar unpassierbar werden, sitze ich vielleicht fest. Möglicherweise kann ich dann tagelang nicht weg.

Schritt 4: Hilfe holen

Da ich 2,5 h bis zur nächsten größeren Stadt brauche, kann ich nicht gleichzeitig recherchieren. Also bitte ich meine Familie um Unterstützung und Tipps. Meine Tochter ruft mich an und während ich im Schneckentempo die Serpentinen wieder herunterfahre, sprechen wir über dies und das. Sie beruhigt mich, recherchiert parallel und findet auf der Seite des Auswärtigen Amtes jede Menge Informationen zum Verhalten bei einem Orkan. Außerdem sucht sie mir Hostel-Empfehlungen, wo ich die nächsten zwei Nächte bleiben und auch das Auto unterstellen kann. Am Ende des Tages finde ich ein Motel, das noch ein Zimmer frei hat.

Schritt 4: Reflektieren und auf die Schulterklopfen

Ich sitze jetzt hier in Chaiyi im Starbuck’s, wo viele Gäste stundenlang sitzen und lernen und arbeiten und freue mich über die Gesellschaft fremder Menschen. Ich weiß nicht, ob die anderen an den Taifun denken, ob sie vorbereitet sind oder Routine empfinden (der letzte, der auf das Land traf, war vor vier Jahren). Inzwischen kann ich den Sturm auch auf GoogleMaps verfolgen. Ich werde nun ins Motel gehen und einen Tee trinken. Vielleicht wird alles gar nicht schlimm.

Die letzten 24 Stunden haben mich klüger gemacht. Ich habe mich nie ernsthaft mit Taifunen oder Hurrikans beschäftigt, obwohl ich diese Metapher in jedem meiner Vorträge nutze. Nun kombiniert sich Wissen mit Erfahrung und das ist es, was wir Handlungswissen nennen. Daraus ergibt sich Handlungssicherheit und ja, beim nächsten Mal bin ich sicher schlauer. Ich muss keine Angst mehr haben.

Wenn das Leben unsere Pläne durchkreuzt

An einem unserer ersten Abende im Bali Mandala Resort sagt Rainer zu mir: „Weißt du, Felicitas, wann Gott herzlich etwas zu Lachen hat?“ Mir geht so allerlei durch den Kopf, da gibt er schon die Antwort: „Wenn du ihm deine Pläne erzählst.“

Ich will widersprechen. Pläne sind eine gute Sache. Sie geben uns Orientierung und Sicherheit.

Aber er hat Recht. Das Erwartbare ist nicht, dass sie aufgehen, sondern dass etwas dazwischenkommt und wir erstmal überfordert, gestresst und vielleicht sogar (wie ich) etwas panisch reagieren. Wenn wir mit den vorhandenen Bordmitteln sofort einen alternativen Plan haben, nehmen wir den Anstieg des Adrenalin vielleicht kaum wahr. Wenn wir das Durchkreuzen der Pläne aber als Bedrohung wahrnehmen,  brauchen wir etwas länger. Und das ist gut so.

Selbstcoaching für Situationen, in denen unsere Pläne durchkreuzt werden: 

1. Gern hätten wir schon die Lösung. Aber unser Organismus ist in Aufruhr und kann gar nicht klar denken. Deshalb: Sich zuerst beruhigen und einschätzen, wie (lebens-)bedrohlich es akut tatsächlich ist, dass wir den letzten Flieger verpasst, den Schulplatz im ersten Anlauf nicht bekommen oder der Kuchen kurz vor der wichtigen Einladung verbrannt ist. Sofern kein akuter Handlungsbedarf in den nächsten 2 Minuten besteht, sollten wir dafür sorgen, dass wir uns entspannen, damit das Großhirn wieder arbeiten kann. Das tut es nur, wenn es sich sicher fühlt. Dann spuckt es auch bereitwillig kreative Lösungen aus. Mein Tipp: Einmal grundsätzlich überlegen, was dir in solchen Situationen hilft, dich zu beruhigen. Mir hilft zum Beispiel, mich hinzusetzen und bewusst zu entscheiden, jetzt ein paar Augenblicke nicht zu denken. Sondern einfach atmen und sagen: „Alles ist gut. Mir fällt gleich etwas ein.“

2. Wenn das Großhirn wieder arbeitet, braucht es zunächst Informationen, um mögliche und vor allem sinnvolle Lösungswege zu generieren. Oftmals suchen wir verzweifelt nach Lösungsideen, obwohl uns wichtige Parameter fehlen. Also: Das Internet durchsuchen, was es an Faktenwissen ausspuckt (Welche Passagierrechte habe ich, wenn den Flieger verpasst habe?). Umhorchen, was andere in ähnlichen Situationen getan haben (manchmal entdeckt man da sehr kreative Lösungen). Herausfinden, was zu Entscheidungen geführt hat (warum mein Kind den Schulplatz nicht bekommen hat). Einen Ressourcen-Check machen (welche Zutaten ich im Haus habe, um ein schnelles Dessert zu zaubern).

3. Oft bleiben wir in solchen Stressmomenten im Kopf – versuchen zu verstehen, wie es dazu kommen konnte und wie wir die Situation nun am besten lösen. Das ist sicher gut, oft aber treten wir auf der Stelle, weil das Gehirn komplett überfordert ist. Deshalb haben wir unsere Intuition, unser Bauchgefühl, das in solchen Augenblicken wesentlich gescheiter ist als unser schlauer Kopf. Unsere Intuition kann auf längst vergessene Erfahrungen, tief verankertes Handlungswissen und menschliche Instinkte zurückgreifen. Und wenn wir genau hinspüren und ihr vertrauen, irren wir sehr selten.

4. Menschen sind sehr bereit zu helfen, wenn wir sie nur sehr deutlich um Hilfe bitten. Das kann die Freundin sein, der wir unsere Lösungsideen erzählen und während wir reden, spüren wir plötzlich sehr klar, welches die richtige ist. Das kann jemand sein, den wir um eine Recherche bitten oder schlichtweg um seine Einschätzung aus neutraler Perspektive. Das kann natürlich auch ein bezahltes Coaching sein bei jemandem, der/die mich mit unterschiedlichen Methoden zu einem neuen Plan A hinführt.

5. Oft reagieren wir mit Unwillen oder Ärger, wenn sich unsere Pläne ändern. Das ist verständlich. Es stresst uns einfach. Und Stress ich immer unangenehm. Andererseits findet genauso Lernen statt: Wir meistern eine Situation, die uns bisher unbekannt war. Und stärken so unsere Kompetenzen. Grund genug, sich auf die Schulter zu klopfen.

Ich freue mich, dass du heute dabei warst und an meiner Reise teilhast! 
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Alles Liebe, 

deine Felicitas

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Wie du herausfindest, was du eigentlich willst

Wie du herausfindest, was du eigentlich willst

Manchmal sind wir in unserem momentanen Leben unzufrieden. Das ist gut so, denn es zeigt: Wir haben die Sehnsucht, einen Sinn in dem zu finden, was wir tun. Wir ahnen: Da muss doch noch mehr sein als das, was mich momentan beschäftigt? Aber wie finde ich heraus, was ich eigentlich will und wie finde ich Wege, das in mein Leben zu holen? In diesem Blogartikel erfährst du, warum ich mich gerade für das Reisen entschieden habe und wie du herausfinden kannst, was es für dich ist.

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1000 Gründe, keine Weltreise zu machen und warum ich es trotzdem tue

1000 Gründe, keine Weltreise zu machen und warum ich es trotzdem tue

Erwischt du dich manchmal bei dem Gedanken: „Wenn ich könnte, würde ich gern…“?

Wir tragen manchmal jahrelang ungelebte Träume mit uns herum und denken: „Ich habe keine Zeit, Familie und Beruf füllen mich völlig aus“ oder „Wenn erst die Kinder groß sind, dann werde ich…“

Lass es nicht zu spät sein. Ich erzähle dir hier meine Geschichte, um dir Mut zu machen, das, was dir wichtig ist, JETZT zu leben. Und wenn es eine Weltreise ist.

Disclaimer: In diesem Artikel geht es auch um die Themen Covid-Pandemie und Krebs.

Sich trauen zu träumen

20. Juli 2023:
Ich bin 52 Jahre alt, Mutter von vier Kindern, gesundheitlich ziemlich angeschlagen und seit genau 16 Tagen auf einer Reise. Manche sagen, ich mache eine Weltreise. Andere, dass ich eine Auszeit nehme. Ich weiß es noch nicht. Ich habe einen Flug nach Bali gebucht und schaue, was auf mich zukommt. Einfach mal raus. Einfach mal drauflos leben. 9 Monate lang das tun, was mir schon so lange in der Seele brennt: Reisen.

Viele Menschen haben mich in den vergangenen Wochen gefragt, wie es zu diesem Entschluss gekommen ist und warum ich gerade jetzt losziehe. Das ist eigentlich einfach erklärt:

Wenn das Leben uns mal so richtig in die Mangel nimmt, scheint manches mit einem Mal möglich. Und dann möchte man nicht mehr auf „irgendwann“ warten.

7. Oktober 2021: Ich stehe vor dem Bücherregal meines älteren Sohnes in seiner Studentenwohnung in Deggendorf. Schaue, was er so liest. Neben Büchern über Künstliche Intelligenz, Finanzen und die 1%-Methode finde ich viel Reiseliteratur. Offensichtlich mag er besonders die Bücher von „Lonely Planets“.

Da mein Sohn in wenigen Tagen umzieht und dabei ist, sein Hab und Gut in Umzugskisten zu verstauen, frage ich ihn, ob ich mir einen der Reiseratgeber ausleihen darf. Er lacht beim Blick auf den Titel. Ich darf. Dass dieses Buch mein Leben verändern wird, ahne ich in diesem Moment noch nicht.

Ich bin mit Matthias (meinem Mann) auf dem Weg nach Kroatien. Unsere Silberhochzeitsreise. Doch am kommenden Tag habe ich erst einmal Geburtstag. Werde 51 Jahre alt. Dass ich diesen Tag mit dem Hauptvortrag bei der Jahresversammlung des Katholischen Familienverbands Südtirol in Bozen feiern darf, erfüllt mich mit großer Freude. Aber dass ich überhaupt noch einmal Geburtstag feiern darf, ist ein unfassbar großes Geschenk. Das war im November 2020 noch gar nicht so klar.

Denn hinter mir liegen die wohl schwersten zwei Jahre meines Lebens. Obwohl es von der Sorte „schwer“ schon einige gab.

Der Supergau

Im Frühjahr 2020 hatte ich in meiner Selbstständigkeit als Rednerin, Trainerin und Coach zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ richtig Fuß gefasst. Meine Auftragsbücher für Vorträge und Seminare waren gut gefüllt, ich freute mich auf das Jahr.

Und dann kam Freitag, der 13. März 2020. Ich saß mit vielen Kolleginnen und Kollegen bei der WinterConference  meines Berufsverbandes (German Speakers Association) in Dresden, als im Liveticker die Nachrichten über die Ausbreitung eines Virus liefen. Die Schweizer und Österreicher reisten überstürzt ab, die Grenzen wurden geschlossen. Der Verbands-Präsident hielt als Anwalt einen Spontanvortrag über das Insolvenzrecht in Deutschland. Innerhalb weniger Stunden konnten wir miterleben, wie eine ganze Branche einfach so den Bach runterging. Künstler*innen, Freelancer, Soloselbstständige waren plötzlich nicht nur arbeitslos, sondern auch machtlos und oft genug am Rand des finanziellen Ruins (oder darüber hinaus).

Viele Kolleg*innen schwenkten innerhalb weniger Tage auf Online-Angebote um. Aber meine Kunden – viele Behörden, Hochschulen, Landkreise – brauchten Monate, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass ihre Mitarbeiter*innen an meinen Online-Seminaren teilnehmen konnten. Also stornierten sie die Buchungen. Stornierungsgebühren waren dabei nicht vorgesehen. Inzwischen bot ich ehrenamtlich Live-Talks für Eltern an, die im HomeOffice Kinder betreuten und beschulten und völlig erschöpft waren. Schrieb innerhalb von vier Wochen ein Buch „HomeOffice mit Familie“.

Auch ich stand am Rande meiner Kraft. Hatte das erste Mal in meinem Leben Angst. Wirkliche Angst. Existenzangst. Und Wut. Da war so viel Wut über zu viel Ungerechtigkeit in jenen Tagen.

Aber es gab auch viele Lichtblicke. Im Oktober wurde ich 50. Wir konnten nicht groß feiern. Ich liebe Feste und Feiern. Und wir waren alle so ausgehungert nach Zusammensein, Leichtigkeit, Begegnung und Freude. Trotzdem war es ein Tag voller Überraschungen, Beweisen von Zuneigung meiner Familie und Freunde. Und großer Dankbarkeit meinerseits, aufgehoben zu sein in wunderbaren Beziehungen.

Und dann kam der 4. November 2020. Ich erinnere mich noch Jahre später an jede Einzelheit jenes Morgens. Wie ich mir verschlafen die Augen reibe. Einen Moment brauche, bis das Klingeln des Telefons zu mir durchdringt.

„Sitzen Sie im Auto?“ fragt der Radiologe am anderen Ende. Sofort bin ich hellwach. „Nein.“ ‚Auf der Bettkante,“ füge ich in Gedanken hinzu. „Gut. Ich muss Ihnen leider mitteilen: Der Knoten in Ihrer Brust ist bösartig. Der Ki ist sehr hoch. Das bedeutet ein schnelles Wachstum. Aber Sie kommen für die Teilnahme an einer Studie in Frage. Melden Sie sich am Montag um 9:00 Uhr in der Praxis von Dr. XY. Er wird alles weitere veranlassen.“ Bevor sich Fragen in meinem Kopf formen können, hat der Arzt aufgelegt.

Reglos bleibe ich sitzen. Krebs. Das ist es also. Die Erkrankung, die immer nur die anderen bekommen. Krebs in Zeiten des Lockdowns. Der Supergau.

Bereits seit Monaten hatte ich den Knoten in der Brust gespürt. War im Frühsommer bei meiner Gynäkologin gewesen. Sie meinte nur lapidar: „Das ist eine Zyste. Nicht ungewöhnlich. Zur Mammographie werden Sie ab 50 sowieso eingeladen.“

Jetzt, Ende Oktober und kurz nach meinem 50. Geburtstag geht alles ganz schnell. Mammographie, Biopsie. Dann neun Tage langes Warten auf das Ergebnis. Das Labor ist mit Corona-Tests völlig überlastet. Neun Tage hoffen und doch besser wissen.

Ich bin nicht wirklich überrascht. Ich habe es geahnt. In diesem Moment ist noch völlig unklar, was das alles bedeutet.

Nun, im Oktober 2021, also genau ein Jahr später, darf ich Geburtstag feiern.

Was für ein Geschenk. Ich bin im vergangenen Jahr dünner geworden, habe zwei OP’s hinter mir und Medikamente, die mich so schlapp gemacht haben, dass ich manchmal fast im Stehen eingeschlafen wäre. Ich habe mehrere Tagebücher gefüllt, viel meditiert und über mein Leben nachgedacht. Habe immer wieder überlegt, was mir wirklich wichtig ist.

Und ich habe gearbeitet. Denn das Krankengeld bemisst sich nach dem Einkommen des vergangenen Jahres. Das hatte ich nicht. Wegen der Pandemie. Aber das Arbeiten tat mir auch gut – ich konnte online arbeiten und hatte so das Gefühl einer gewissen Normalität. Und da man mir die Erkrankung und Behandlung nicht ansah und mir ein paar Pfunde weniger gut standen, bekam ich so viele Komplimente über mein Aussehen wie in den vergangenen zwanzig Jahren nicht.

Außerdem ist mein Buch erschienen.

Ich bin glücklich. Und dankbar. Und ausgesöhnt mit dem Leben und seinen Überraschungen.

Ich mache mir nichts vor. Die kommenden vier Jahre bleiben kritisch. Aber ich lebe. Jetzt.

Das zweite Leben

15. Oktober 2021: Ich sitze in einem gemütlichen Bungalow direkt an der kroatischen Adria. Die Wellen schwappen leise gegen die Uferpromenade. Es ist noch früh am Morgen. Ich genieße den ersten Kaffee. Greife zu dem Buch, das ich mir von meinem Sohn geliehen habe: „Solo unterwegs“. Ich blättere darin und bleibe gleich am Anfang an möglichen Bedenken gegenüber einer Soloreise hängen. Dort werden Themen wie Sicherheit, Einsamkeit usw. angesprochen. Und dann lese ich: „Bin ich zu alt, um allein zu verreisen?“ Ich denke sofort: ‚Nein, natürlich nicht. Das ist ja Quatsch!“

Aber dann lese ich die Antwort des Reiseführers: „Nur, weil du dir zwischen Schule und Uni kein Jahr Auszeit gegönnt hast, ist der Zug für dich noch nicht abgefahren. Ob du nun 26 oder 56 bist.“ An diesem Satz bleiben meine Augen wie magnetisch haften. Ein Jahr Auszeit. Nicht zu spät. Nur weil du…, heißt das nicht…

Und ich lese weiter: „Worauf wartest du noch? Da draußen gibt es eine Welt zu entdecken. Also schieb deine Ängste beiseite und reise einfach los.“

In diesem Moment macht etwas „klick“ in meinem Kopf. Es ist, als würde ich den letzten Stein in ein Puzzle legen, das erst mit diesem letzten Teil plötzlich Sinn ergibt.

Das Auszeit-Jahr mit 18, das nicht zur Wahl stand, weil mich die politische Wende 1989 überrollt hatte und ich plötzlich und unerwartet studieren durfte (was für mich in der DDR aus politischen Gründen nicht möglich gewesen wäre). Dann die Hochzeit, Familie, Selbstständigkeit. Geld verdienen, um irgendwann das zu machen, wozu ich Lust hätte.

Vertagte Träume. Aber während der Erkrankung hatte ich gelernt, was es heißt: „Freu‘ dich nicht zu spät!“ Wann wäre es zu spät? Möglicherweise viel zu früh.

Irgendwo hatte ich vor vielen Jahren den Spruch gefunden: „Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn man versteht, dass man nur eines hat.“

In diesem Moment, in dem es „Klick“ machte, begann mein zweites Leben. Zumindest erstmal in meinem Kopf. Denn ich traf eine Entscheidung. Die Entscheidung, es nicht beim Träumen zu belassen. Ich werde auf Reisen gehen.

Sich erlauben, groß zu denken

Warum erzähle ich dir diese, meine Geschichte?

Es ist Juli 2023 und ich sitze hier auf Bali an einem Fluss und schreibe meinen ersten Drauflosleben-Blogartikel. Ich möchte dich mit meinem Blog ermutigen und inspirieren, deinen Träumen nachzuspüren und dich ermutigen, sie Wirklichkeit werden zu lassen.

Es gibt 1000 gute Gründe, dies aufzuschieben.

Schau mich an: Ich bin Mutter – mein jüngster Sohn wohnt noch daheim und bereitet sich auf das Abi vor. Vermutlich sollte ich da sein und ihn dabei unterstützen.

Ich bin Partnerin. Was macht eine mehrmonatige Abwesenheit mit einer Beziehung? Ich weiß es nicht.

Ich bin selbstständig. Möglicherweise katapultiere ich mich mit meinem Business gerade komplett ins AUS. Hatte ich schon.

Ich werde leitliniengemäß wohl erst in fünf Jahren als gesund entlassen. Ich muss Medikamente für 8 Monate mitschleppen und lernen, mich selbst zu spritzen. Aber es geht.

Es gibt 1000 gute Gründe, Träume aufzuschieben. Und nur einen einzigen, es nicht zu tun: Das Leben findet jetzt statt. Freu‘ dich nicht zu spät.

Am Ende eines Blogartikels werde ich dir immer eine Übung, eine Geschichte zum Nachdenken oder einen Tipp mit auf den Weg geben, um dich zu unterstützen. Dies soll dich inspirieren, trotz aller Aufgaben, die du im Alltag zu bewältigen hast, nicht zu vergessen, auch dein eigenes Leben zu leben – und nicht nur das, was im Moment vernünftig erscheint.

Selbstcoaching-Übung:

Vielleicht kennst du bereits die Geschichte eines Professors, der seinen Zuhörer*innen Zeitmanagement erklärt, indem er Steine in einen Glaskrug schichtet. Wenn nicht, kannst du sie hier herunterladen und nachlesen. Ich verwende sie und folgende Übung in meinen Seminaren, wenn es darum geht, dem Wichtigen im Alltag Zeit einzuräumen.

Nimm ein Blatt und male einen Krug darauf oder drucke dir das Arbeitsblatt aus. Nun überlege, welche großen Steine darin Platz haben sollen und beschrifte sie. Vielleicht schreibst du: „Zeit für die Familie“ oder „Gesundheit“ oder „Partnerschaft“. Schreibe dazu, was genau das heißt: „Familiensonntag“ oder „Yogakurs“ oder „Candlelight-Abend“. Und nun das allerwichtigste: Male einen richtig großen Stein hinein, der für einen Wunsch/Traum steht, den du hast. Vielleicht gibt es schon etwas ganz Konkretes, z.B. „einen Monat pilgern“ oder „Weiterbildung zu XY“ oder „Kletterkurs“ oder „Buch schreiben“ oder „beruflich umorientieren“.  Vielleicht hast du aber noch gar keine Idee. Auch das ist ok. Dann lass den Stein noch leer. Wichtig ist nur, dass er da ist.

Im nächsten Blogartikel werde ich dir Ideen geben, wie du herausfinden kannst, was auf den Stein gehört und warum.

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Wie du herausfindest, was du eigentlich willst

Wie du herausfindest, was du eigentlich willst

Manchmal sind wir in unserem momentanen Leben unzufrieden. Das ist gut so, denn es zeigt: Wir haben die Sehnsucht, einen Sinn in dem zu finden, was wir tun. Wir ahnen: Da muss doch noch mehr sein als das, was mich momentan beschäftigt? Aber wie finde ich heraus, was ich eigentlich will und wie finde ich Wege, das in mein Leben zu holen? In diesem Blogartikel erfährst du, warum ich mich gerade für das Reisen entschieden habe und wie du herausfinden kannst, was es für dich ist.

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